Interkulturelle Fallstudie mit der Methode „Inneres Team“
An einem selbst erlebten Beispiel möchte ich mit Hilfe einer kommunikationspsychologischen Methode (vgl. Schulz von Thun, Band 3, 1998 sowie Kumbier und Schulz von Thun (Hg.), 2011) zeigen, wie diese Methode im Coaching Prozess angewandt werden kann, um kulturelle Missverständnisse und Irritationen zu vermeiden.
Ein Beispiel: Als Kaufmännischer Projektleiter in Kuwait
Als junger Diplom-Kaufmann verbrachte ich meinen ersten beruflichen Auslandseinsatz für die deutsche Tochter eines Schweizer Elektrokonzerns mit etwas mehr als zwei Jahren in Kuwait. Eine wesentliche Aufgabe für mich war, ausstehende Zahlungen für Projekt-Teilabschlüsse mit dem Ministerium für Elektrizität und Wasser zu klären und deren Auszahlung zu beschleunigen. Gleich am Anfang meiner Tätigkeit ging ich deshalb in das Ministerium zu dem Financial Controller, dem die Abteilung für Projektabrechnung und Auszahlung unterstand. Als ich in seinem recht geräumigen Büro ankam fand ich eine typische Konstellation für diese Region vor. Der Controller saß etwas überhöht auf einem Podest hinter einem großen Schreibtisch. In zwei Reihen links und rechts davor saßen einige arabische Personen, die sich mit ihm unterhielten und dabei einen Tee schlürften. Sie saßen auf kleineren Hockern und schauten zu dem Controller hoch. Ich grüßte, der Controller registrierte mich kaum. Ich nahm auf einem der Hocker Platz. Man brachte mir Tee mit Zucker. Ich hatte zwar vor meinem Einsatz in Deutschland Unterricht in Arabisch genommen, aber hatte nicht das Niveau erreicht, um die Unterhaltung zu verstehen oder gar mitzureden. Wie sich in den folgenden zwei Jahren zeigte, war das auch nicht notwendig, da alle im Ministerium Englisch sprachen und dies auch gerne taten. Ich saß also da und wartete und versuchte ein freundliches Gesicht zu machen. Nach einer halben Stunde fiel es mir schon schwerer ein freundliches Gesicht zu machen. Ich stand unter Zeitdruck und hatte noch viel vor. Nach einer Stunde und ohne eine Kontaktaufnahme seitens des Controllers war meine innere Unruhe groß. Ich entschloss mich zu gehen und verabschiedete mich freundlich. Von diesem Tag an, hatte ich große Probleme, die Kooperation des Controllers zu gewinnen und musste auf andere mühsamere Wege ausweichen, um an Informationen heranzukommen.
Was war passiert? Ich muss hinzufügen, dass ich mich auch auf die kulturellen Aspekte dieses Auslandaufenthalts gut vorbereitet hatte. Wie erwähnt hatte ich begonnen, die arabische Sprache zu erlernen. Ich hatte Seminare zum Islam besucht und an Veranstaltungen mit erfahrenen Auslandsprojektleitern teilgenommen. Ich wusste, dass man in dieser Region mehr Geduld haben muss, dass Kommunikation zwischen Geschäftspartnern nicht nur geschäfts- und sachbezogen abläuft und man nicht wie bei uns in Geschäftsgesprächen sofort auf den Punkt kommt. Ich hatte somit einiges in die „kognitive Dimension“ interkultureller Kompetenz investiert. Das Beispiel zeigt, dass damit jedoch noch nicht garantiert ist, das richtige kulturadäquate Verhalten in jeder Situation an den Tag zu legen.
Mein Inneres Team in der interkulturellen Ministeriumsituation
Bezüglich der theoretischen und praktischen Grundlagen zum „Inneren Team“ verweise ich nochmals auf Schulz von Thun („Miteinander Reden“, Band 3, 1998).
In meinem Inneren meldeten sich verschiedene Stimmen und je länger das Warten dauerte, desto lauter wurden einige:
– Wie arrogant und anmaßend dieser Typ ist, er registriert mich nicht mal richtig. Er sitzt hinter seinem riesigen Schreibtisch und schaut uns von oben herab an.
– Zumindest kann ich hier ungestört sitzen und bekomme einen Tee, es ist halt eine andere Kultur und gastfreundlich sind sie.
– Wie kann ich mich hier bemerkbar machen und in die Kommunikation eingreifen? Wenn man die Sprache nicht beherrscht, ist das schwierig und der beste Smalltalker war ich noch nie.
– So wie sich das anhört, sprechen die nicht über Geschäftliches sondern plaudern über belangloses und privates Zeug. Was machen alle diese Leute während der Geschäftszeiten hier? Die blockieren den Ablauf.
– Mir läuft die Zeit davon. Ich muss heute noch einige wichtige Dinge erledigen sonst bekomme ich Probleme mit meinem Stammhaus in Deutschland.
– Das ist eigentlich eine Frechheit, mich so zu ignorieren und warten zu lassen, auch wenn ich der Lieferant bin und er der Kunde.
– Wenn sich die Leute in verantwortlicher Position im Ministerium so verhalten, wundert es mich nicht, dass wir jeder Zahlung hinterher rennen müssen.
– Wenn ich jetzt gehe, werde ich ihm zeigen, dass er mich nicht wie einen Schulbuben behandeln kann und das wird ihm helfen, mir in Zukunft etwas schneller Aufmerksamkeit zu schenken.
– Du musst mehr Geduld haben, erinnere dich an die Seminare. Hier muss man mehr in die Beziehung zum Geschäftspartner investieren.
Mein Inneres Team in dieser Situation sah etwa wie folgt aus:
Der Kulturversteher:
Eine andere Kultur … Persönliche Beziehungen sind wichtig.
Der Ungeduldige:
Mir läuft die Zeit davon … Ich habe noch einiges zu tun.
Der Unsichere:
Nicht gut in Smalltalk …
Der Abwerter:
Kein Wunder, dass hier nichts funktioniert.
Der Oberlehrer:
Werde ihm lehren, mir Aufmerksamkeit zu schenken.
Der Gekränkte:
Schaut mich kaum an. Frechheit, mich so zu ignorieren …
Andere Personen hätten in dieser Situation wahrscheinlich einige gleiche, aber auch einige andere „Teammitglieder“ gehört.
Wie können wir nun unser Inneres Team entwickeln, um diesen Teufelskreis der Entfremdung und eskalierender Missverständnisse zu durchbrechen?
Im Ministerium hatte ich ja eine Stunde Zeit, mein inneres Team in Balance zu bringen. Nach Anhörung der inneren Stimmen und der Identifikation der dazugehörigen Teammitglieder wäre nach dem Konzept von Schulz von Thun (Band 3, 1998) eine Teamkonferenz mit dem Oberhaupt der nächste Schritt, um eine Balance und Integration der widersprüchlichen Argumente der unterschiedlichen Teammitglieder zu erreichen. Die lautesten Stimmen waren der Ungeduldige und der Gekränkte. Denen stand der Kulturversteher etwas leise gegenüber. Es wäre also die Aufgabe eines Oberhaupts (Teamleiters) gewesen, in der Diskussion den Kulturversteher stärker zu Wort kommen zu lassen. Dies hätte wie folgt aussehen können:
Der Ungeduldige: Du hast keine Zeit, du musst jetzt gehen, weil du noch dringend eine Arbeit für das Stammhaus erledigen musst.
Der Kulturversteher: Du hast doch gelernt, dass gute persönliche Beziehungen in dieser Region die Basis für gute Geschäftsbeziehungen sind. Du musst Geduld haben.
Das Oberhaupt: Ungeduldiger wie wäre es, wenn der Banktermin heute Nachmittag auf morgen verschoben wird. Das kann ja einen Tag warten und du kannst dir jetzt die Zeit nehmen. Du legst jetzt die Basis für die zukünftige Zusammenarbeit mit dem Controller.
Der Ungeduldige: Ok, ich werde es versuchen, wenn ich zumindest meine Arbeit für das Stammhaus heute Nachmittag erledigen kann.
Der Gekränkte (ziemlich wütend): Das ist mir egal, er behandelt mich wie ein Nichts.
Der Kulturversteher: Das ist doch nicht auf dich persönlich gemünzt. Hier sitzt eine ganze Anzahl von Leuten und wartet. Das gehört zu den Riten. Wer diese Riten nicht respektiert, der erreicht hier nichts.
Das Oberhaupt: Wir geben ihm jetzt freundlich die Business Card, sodass er weiß, wer auf ihn wartet. Das wird helfen, mehr Aufmerksamkeit auf uns zu ziehen.
Der Gekränkte: Trotzdem, das bringt sicher nichts.
Der Kulturversteher: Wenn wir ihm Respekt entgegenbringen, dann werden wir auch seinen Respekt bekommen.
Das Oberhaupt: Wir werden uns jetzt respektvoll nähern und die Zeit aufbringen, die für den Aufbau einer guten persönlichen Beziehung hier nötig ist. Mit Verschiebung des Banktermins werden wir dennoch unsere Arbeit heute erledigen können und über eine langfristige gute Beziehung werden wir die gewünschte Wertschätzung und Aufmerksamkeit bekommen. Einverstanden?
Alle: Ok, wir werden es versuchen.
Die ideale Lösung ist, wenn alle beteiligten Teammitglieder ihre Interessen befriedigen können und eine Balance im Inneren Team hergestellt werden kann.